Besuch bei der Wahrsagerin


Während ich noch überlegte, welcher Teufel mich geritten hat, nahm die Wahrsagerin schon meine Hände, murmelte etwas Unverständliches und schloss die Augen, dabei den Kopf in den Nacken legend, als hätte sie Probleme mit ihrer Halswirbelsäule oder als warte sie auf eine Eingebung von oben. Von einem plötzlichen Nachahmungseffekt geleitet schaute ich ebenfalls zur Decke, umgehend strafte mich ein zurechtweisender Blick: Ich solle mich konzentrieren, sagte sie, und schon schien sie wieder versunken in einer jenseitigen Welt, aus der sie für diesseitig hohe Preise Hilfe zu holen versprach, an die ich nicht wirklich glaubte, trotzdem der Empfehlung eines Freundes gefolgt war, der, seit er die Wahrsagerin aufsuchte, sich allgemein besser fühlte, wie neu geboren, meinte er. Sie sind wegen der Liebe gekommen, stöhnte die Wahrsagerin auf einmal zu meiner Überraschung, mit einer Stimme, die jetzt ins Flüstern übergegangen war, als wäre die Botschaft von so tiefer Bedeutung, dass niemand außer uns sie hören sollte, vielleicht aber auch aufgrund einer inszenierten dramaturgischen Steigerung. Eigentlich wegen meines Magens, überlegte ich, sagte aber nichts, denn ich wollte hören, was die Geister mir noch so flüstern wollten. Die Zukunft, sie bringt Veränderungen mit sich, keuchte sie. Na was du nicht sagst, dachte ich, und zweifelte sogleich, weil ich unwillkürlich an Durnwalder und an Berlusconi denken musste. Nach wenigen Sekunden Stille sagte sie in einem fast singenden Ton: Es werden wieder Kinder in Ihr Leben treten, die aus der Liebe gedeihen, das sagen die Stimmen. Nicht freiwillig, dachte ich. Dann jedoch, verdammt, fiel mir der völlig abwesende Blick jenes jungen Mannes ein, der meiner Tochter unverblümt nachstellt wie ein Rüde einer läufigen Hündin – ihr neuer Freund. Für heute genug, sagte ich bemüht ruhig, und wollte schon gehen, da bat mich die Wahrsagerin noch zu warten, stellte sich zur alten Kommode, entnahm aus irgendwelchen Schachteln Kräuter und allerlei Zeug, füllte diese in ein Stoffsäckchen, stellte sich anschließend vor mich hin, erwähnte wie beiläufig den Betrag für die erbrachte Dienstleistung und nachdem ich meine Schuld beglichen hatte, reichte sie mir die geheime Mixtur mit den Worten: Danke; und das hier ist für den Magen. Zu einer Antwort unfähig lächelte ich verlegen und verließ das Haus, stieg ins Auto und fuhr los, mit noch nervöserem Magen und recht verwirrt, aber mit zwei neuen Vorsätzen: Meine Tochter anrufen und mir einen Tee machen.